Tagesspiegel vom 5.11.2013 zu den Auswirkungen der Volksentscheide in Berlin und Hamburg auf Vattenfall

Berlin – Der Gewinner vermied auch am Montag jede Siegerpose. Vattenfall blieb schön in Deckung, jedenfalls offiziell. Im Konzern wird nun spekuliert, welche Konsequenzen die Volksentscheide über die Netze in Hamburg und Berlin haben. Verliert der schwedische Staatskonzern die Leitungen, dann beschleunigt das den Rückzug vom deutschen Markt, so die vorherrschende Meinung. An dieser Einschätzung hat sich durch das Berliner Ergebnis nichts geändert. „Es wird weiter an der Zerschlagung des Konzerns gearbeitet“, heißt es in Unternehmenskreisen. Im Sommer hatte die Konzernführung in Stockholm eine neue Struktur angekündigt mit den zwei Bereichen Skandinavien und Kontinentaleuropa.

Sinn der Sache ist nach Einschätzung Tuomo Hatakkas, dem Chef der deutschen Vattenfall: „Das Engagement auf dem kontinentaleuropäischen Energiemarkt reduzieren.“ Daran hat sich nichts geändert.

Obwohl alles anders gekommen ist, als gedacht: Hatakka hatte damit gerechnet, dass die Hamburger gegen den Netzkauf votieren würden und die Berliner dafür. Nun war es genau andersrum. „Hamburg ist ein großer Schlag für das Unternehmen“, sagt ein Insider über den Volksentscheid vom 22. September, dem Tag der Bundestagswahl. Der Berliner Senat hatte die hiesige Abstimmung weit weg gelegt vom 22. September. Das Kalkül ging auf. Und nun?

Man konzentriere sich voll auf das Konzessionsvergabeverfahren, teilt Vattenfall mit. Tatsächlich muss erst mal entschieden werden, wer das Netz betreibt, also die Konzession bekommt. Das soll in Berlin bis Ende 2014 geklärt sein. Wenn dann ein Konkurrent von Vattenfall die Konzession bekäme, hätte der schwedische Staatskonzern wohl kaum noch Interesse am Eigentum des Netzes.

Eine Handvoll Unternehmen und Institutionen, darunter die landeseigene Berlin Energie, die genossenschaftliche Bürger Energie Berlin sowie der Stadtwerkeverbund Thüga wollten sich zuletzt um die Konzession bewerben. Ob die beiden Berliner Einrichtungen dabei bleiben, ist nach dem verlorenen Volksentscheid zweifelhaft. Das Bewerbungsverfahren ist aufwendig und teuer. Geld genug hat der holländische Netzbetreiber Alliander. „Wir haben ein bisschen auf der hohen Kante“, sagt der Chef der deutschen Alliander, Ton Doesburg. Und zwar nicht nur für das Konzessionsverfahren, sondern auch für die Investitionen in das Stromnetz, die – nach Angaben von Vattenfall – in den nächsten zehn Jahren 1,2 Milliarden Euro beanspruchen könnten.

Nach dem Volksentscheid

Kampf um die Berliner Strom-Konzession

Es gibt kein Aufatmen, keine Siegesfeier beim Energiekonzern Vattenfall – trotz des günstigen Ausgangs beim Volksentscheid: Das Bieterverfahren um den Betrieb des Berliner Netzes geht weiter. Und als Favorit gilt derzeit der holländische Betreiber Alliander.

Alliander ist das einzige Unternehmen, das sich in Berlin sowohl für das Gas- als auch für das Stromnetz bewirbt. Das Gasnetz betreibt die Gasag, bis Anfang kommenden Jahres will der Senat entscheiden, wer künftig das Gasnetz bewirtschaftet. Die Gasag oder Alliander. Doesburg wirbt für sein Unternehmen mit dem Synergieversprechen: Wenn Alliander Gas- und Stromnetz bekäme, „könnten wir das wunderbar kombinieren“, Synergien heben und Dienstleistungen für die Bürger aus einer Hand anbieten. „Gas und Strom muss man zusammen betreiben, sonst ist das zu teuer“, sagte Doesburg dem Tagesspiegel. Niedrigere Preise seien „vielleicht möglich über eine höhere Effizienz“.

Der Holländer lockt also mit der Aussicht auf günstigere Preise und ist überhaupt der Ansicht „dass wir das bessere Angebot haben“. Auch deshalb, weil Alliander selbst keinen Strom erzeugt und verkauft, sondern nur als Netzdienstleister agiert. Und weil Alliander Berlin eine Zusammenarbeit anbietet. „Wenn wir die Konzession bekommen, könnten wir das Netz auch gemeinsam mit dem Land Berlin übernehmen“, sagt Doesburg. „Wir machen Rekommunalisierung.“

Am Ende dürfte es auf einen Zweikampf zwischen Vattenfall und Alliander hinauslaufen. Beide wollen die Konzession und das Netz. Aber wie langfristig sind die Pläne der Schweden – mit Berlin, Hamburg und nicht zuletzt der ostdeutschen Braunkohle? Nachdem vergangene Woche Konzernchef Øystein Løseth in Stockholm seinen Rückzug angekündigt hat, ist diese Frage offener denn je.

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